Für alle die's noch nicht mitbekommen haben: Es ist Wahlkampf.
Wie, Sie wissen das schon? Sagen Sie das mal den Damen und Herren von der CDU – die scheinen uns Wähler nämlich für etwas schwer von Begriff zu halten. Anders kann ich mir diese inflationäre Plakatierung zur
Warnung Feier des Merkelschen Besuchs in unserer schönen Stadt B. kaum erklären.
Nun mag es ja Zeitgenossen geben, die zur vollständigen Assimilation des zu vermittelnden Inhaltes mehrere Plakate hintereinander brauchen – jedoch sind die Schäden, die bestimmte Motive bei sensibleren Menschen hinterlassen oftmals arg lebensgefährlich.
Zur Veranschaulichung hier die Einträge aus meinem Logbuch, bei der Fahrt von meiner Wohnung zu meinem Freund S.:
Logbuch des Captains, Uhrzeit 15:23:45
Die bisherige Fahrt verlief ruhig und unproblematisch. Bemerke allerdings zunehmend desorientierte und unerhört blasse Menschen im Gegenverkehr – mache mich auf schwierige Umstände nach der nächsten Kurve gefasst.
15:24:11
Habe die Kurve erfolgreich hinter mich gebracht, das erwartete grüne Tentakelmonster hat sich allerdings „nur“ als Wahlplakat entpuppt:

15:24:19
Während ich mich noch frage, ob DIE KANZLERIN bei diesem Foto wohl wusste, dass sie fotografiert wird, widerfährt mir merkwürdiges: Ich bin noch keine zehn Meter weitergefahren, da stoße ich wieder auf das Antlitz unserer Staatsoberhäuptin. Ein Deja-vu? Ein Fehler in der Matrix? Eine Raum Zeit-Anomalie? Diese Frage lässt sich glücklicherweise mit einem Blick über die Schulter beantworten: Meine Sinne spielen mir keinen Streich – es ist tatsächlich ein weiteres Plakat.
15:24:21
Ich rufe mir ins Gedächtnis, dass das Dicht-auf-Dicht-Plakatieren von CDU-Politikerinnen nach dem Gesetz knapp keine „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ darstellt und konzentriere mich wieder auf die Fahrbahn...
15:24:22
...um im nächsten Moment mein Fahrrad vor Schreck fast in ein parkendes Auto zu rammen! Denn was grinst mich vom nächsten Baum aus an? Angie! Schon wieder! Leicht paranoid und mit wackeligen Beinen fahre ich weiter.
15:24:26
Drei Plakate überstanden, traue ich mich kaum, den nächsten Baum anzublicken.
Doch in einem kurzen Moment der Schwäche passiert es:
ich blinzle,...
öffne die Augen,...
schaue herüber…
PENG! Meine Augen schmerzen, jemand muss mir glühende Kohlen ins Gesicht geworfen haben! Jedoch erkenne ich langsam durch ein Gemisch aus Tränen und Blut verschwommen das Gesicht unserer Kanzlerin.
15:24:42
Es ist so schön, wenn der Schmerz nachlässt. Ich beschließe, weiterzufahren – schließlich bin ich verabredet. Optimist, der ich bin, denke ich mir, dass ich nun wieder von „Sie-wissen-schon-wem“ verschont bleibe, setze ich die Sonnenbrille vor meine brennenden Augen und trete in die Pedale.
15:24:46
5! In Worten: FÜNF! Zwar hat mich die Brille vor dem Explodieren der Augäpfel geschützt, doch die Tatsache, dass Big Merkel mich nun auf einer Strecke von 70 Metern fünfmal am watchen war hinterlässt noch weitere Spuren:
15:24:52
Die Finger zittern, die Ohren rauschen, die Beine haben sich in Pudding verwandelt. An Fahrradfahren ist nicht mehr zu denken – ich steige ab. Während ich langsam einen Fuß schwankend vor den anderen setze, ertappe ich mich dabei, wie ich mir in Gedanken ein Schäuble-Plakat wünsche. Alles, nur nicht nochmal Merkel, denke ich mir.
15:25:00
Aber ach, die Welt ist grausam und der Plakatierer der CDU ist es erst recht. Ob er wohl auf den Namen Luzifer oder doch eher Beelzebub hört, frage ich mich noch, da spüre ich, wie der Anblick des sechsten Plakats Dinge tief in meinem Inneren in Aufruhr bringt, die besser dort geblieben wären...
15:25:15
Die Sauerei auf dem Bürgersteig tut mir Leid, doch im Moment habe ich andere Probleme. Ich fühle, hier geht es mittlerweile um mein nacktes Überleben.
Umkehren kann ich nicht, dazu habe ich bereits zu viele Plakate hinter mir. Mein Fahrrad werde ich wohl zurücklassen müssen – ich habe nicht die Kraft, es weiterzuschieben. Leb wohl, du warst mir ein treuer Freund.
15:25:22
Ein einzelner verwundeter Krieger stapft durch einen Wald des Bösen. Sein Körper ist zerschunden, doch sein Überlebenswillen ungebrochen.
Wären da bloß nicht die Rolling Stones, die kurz vor dem siebten (!!!) Plakat angefangen haben, hämisch in meinem Kopf ein ebenso wohlbekanntes wie grausames Lied zu spielen.
15:25:46
Eine Biegung! Ein kurzer Moment der Ungewissheit und der Hoffnung. Hat der Schrecken ein Ende? Wegen mir darf da ja gern ein Wahlplakat hängen, aber bitte nicht Angela - „ANGIIIIIE! quäkt es in meinem Kopf – Schnauze, Mick! - gebt mir den Lafontaine oder den anderen Kandidaten, wie hieß der nochmal, na diesen weißhaarigen da von der SPD, aber bitte, bitte keine Merkel mehr!
15:25:59
Ich habe die Biegung hinter mir, und da steht sie die Kanzlerin, grinst mich gemein vom achten Wahlplakat aus an und zieht mir einen schweren Gegenstand über den Kopf. Schwarz, Stille – selbst Mick hält für ein paar Sekunden die Klappe, doch dann zieht es mich schon wieder zurück in die harte Realität. Ich spüre Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht, schmecke Blut in meinem Mund und höre Stones...
15:27:01
Nachdem ich eine Minute lang schwer schnaufend, einer umgekippten Schildkröte gleich auf dem harten Bürgersteig gelegen habe, mobilisiere ich meine letzten Kräfte. Ich werde diesen Parcours überstehen, ich werde überleben, ich werde am 27. September wählen gehen!
Ich drehe mich auf den Bauch und robbe los.
15:27:25
Die Stones haben sich mittlerweile das London Symphony Orchestra zur Verstärkung geholt, aber sie werden nicht gewinnen! Zentimeter für Zentimeter krieche ich voran.
15:27:39
Der Anblick von Merkel No. 9 lässt einige lebenswichtige Organe aussetzen. Alles dreht sich um mich, kleine Guttenbergs mit Engelsflügelchen und Harfe fliegen um meinen Kopf. Nie hat man eine Fliegenklatsche, wenn man sie braucht... Nur die Ohren funktionieren immer noch einwandfrei – aber nicht mal die Angie!-brüllenden russischen Fischerchöre können mich von meiner traumwandlerischen Flucht abbringen.
15:28:00
Nahe der Ohnmacht und leise wimmernd krieche ich dem zehnten Plakat entgegen. Doch was ist das? Hinter dem Plakat erstreckt sich eine weite unplakatierte Ebene. Mein Puls beschleunigt sich, die Muskeln spannen sich zum Endspurt an. Drei Meter, zwei, einer – Freiheit! Die Musik verstummt, Leben kehrt in meine geschundenen Glieder zurück und langsam aber sicher reift die Erkenntnis, dass ich das größte Wahlwerbungsattentat seit Bernd Posselt überstanden habe.
Und ich hatte Glück! Man stelle sich vor, da hätte zehnmal Westerwelle gehangen – das hätte ich nicht überlebt.